Bei Dörthe Priesmeier landet vermeintliches Unkraut gern in der Küche
Was die meisten Gartenbesitzer mit Chemie oder mühevoller Handarbeit bekämpfen, erntet die Hobbygärtnerin Dörthe Priesmeier mit dem Korb: Wildkräuter wie Giersch, Brennnessel, Vogelmiere und Löwenzahn sind für sie keine lästigen Unkräuter, sondern wertvolle Nahrungspflanzen. Ihr Garten folgt einem naturnahen Konzept, bei dem Wildpflanzen bewusst stehen bleiben und genutzt werden, statt sie auszurotten.
Der konventionelle Garten definiert sich über klare Ordnung: Hier wachsen Kulturpflanzen, dort ist Rasen, und alles, was sich ungefragt ansiedelt, gilt als Unkraut und muss weg. Die passionierte Hobbygärtnerin Dörthe Priesmeier hat diese Sichtweise grundlegend hinterfragt und für sich einen anderen Weg gefunden. In ihrem Garten dürfen Wildkräuter wachsen und werden aktiv in die Gartenplanung einbezogen. Der Verzicht auf Unkrautvernichtung spart Zeit und Arbeit, vermeidet Chemikalien vollständig und liefert gleichzeitig kostenlose, nährstoffreiche Lebensmittel. Ihr Garten wirkt dadurch zwar weniger aufgeräumt als konventionell gepflegte Anlagen, aber deutlich lebendiger und ökologisch wertvoller.
Inhaltsverzeichnis
Von Unkraut zu Superfood: Ein Perspektivwechsel
Nährstoffreichtum wilder Pflanzen
Der Begriff „Unkraut“ ist für Dörthe Priesmeier längst überholt. Was die einen als störend empfinden, ist für sie wertvolles Wildgemüse. Viele dieser Pflanzen waren über Jahrhunderte fester Bestandteil der menschlichen Ernährung, bevor sie von Kulturgemüse verdrängt wurden. Brennnesseln etwa enthalten mehr Vitamin C als Zitrusfrüchte und mehr Eisen als Spinat. Der Eisengehalt liegt bei etwa 4,1 Milligramm pro 100 Gramm – deutlich mehr als bei den meisten Kulturgemüsen.
Die Hobbygärtnerin hat sich intensiv mit den Inhaltsstoffen verschiedener Wildkräuter beschäftigt und ist beeindruckt von deren Nährstoffdichte. Während Kulturpflanzen über Jahrhunderte auf Ertrag, Größe und milden Geschmack gezüchtet wurden, haben Wildpflanzen ihre ursprünglichen Inhaltsstoffe behalten. Sie mussten sich in der Natur behaupten und entwickelten daher hohe Konzentrationen an Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen.
Gesundheitliche Vorteile
Giersch liefert große Mengen an Kalium, Calcium und Vitamin A. Mit etwa 200 Milligramm Vitamin C pro 100 Gramm übertrifft er viele gezüchtete Gemüsesorten um ein Vielfaches. Vogelmiere enthält Saponine, die entzündungshemmend wirken können, sowie Kieselsäure für Bindegewebe und Knochen. Löwenzahn regt die Verdauung an und unterstützt die Leberfunktion durch seine Bitterstoffe. Dörthe Priesmeier betrachtet diese Pflanzen daher nicht als minderwertige Notnahrung, sondern als hochwertige Ergänzung ihres Speiseplans.
Besonders die Bitterstoffe, die in modernem Zuchtgemüse weitgehend herausgezüchtet wurden, sind in Wildkräutern noch reichlich vorhanden. Sie fördern die Verdauung, regen die Produktion von Verdauungssäften an und können sogar den Appetit auf Süßes reduzieren.
Sicheres Bestimmen
Wichtig ist ihr dabei die korrekte Bestimmung: Nicht jede Pflanze im Garten ist essbar, und manche können mit giftigen Arten verwechselt werden. Sie hat sich das nötige Wissen durch Bestimmungsbücher, Online-Recherchen und die Teilnahme an Wildkräuterführungen angeeignet. Besonders gefährlich sind Verwechslungen bei Doldenblütlern: Der essbare Wiesenkerbel kann mit dem hochgiftigen Schierling verwechselt werden. Priesmeier rät jedem Einsteiger, zunächst nur wenige, leicht erkennbare Arten zu sammeln und bei Unsicherheit lieber zu verzichten. Die Regel lautet: Nur essen, was man hundertprozentig sicher bestimmen kann.
Die wichtigsten essbaren Wildkräuter im Garten von Dörthe Priesmeier
Die Top-Sieben
In ihrem etwa 150 Quadratmeter großen Garten wachsen zahlreiche essbare Wildpflanzen, die Dörthe Priesmeier regelmäßig erntet. Sie hat gelernt, die verschiedenen Arten zu unterscheiden, die besten Erntezeiten zu erkennen und die Pflanzen so zu nutzen, dass sie sich weiter vermehren können. Jede Pflanze hat ihre optimale Erntezeit, in der sie am zartesten und schmackhaftesten ist.
Zu ihren am häufigsten genutzten Wildkräutern gehören:
- Giersch: Junge Blätter schmecken mild nach Petersilie und Möhre, ideal für Salate, Pesto oder als Spinatersatz
- Brennnessel: Nach dem Blanchieren oder Kochen verlieren die Blätter ihre brennende Wirkung, hervorragend für Suppen und Tees
- Vogelmiere: Zartes, mild-nussiges Kraut, das sich gut in Salaten und auf Butterbroten macht
- Löwenzahn: Junge Blätter sind weniger bitter und eignen sich für Salate, ältere Blätter für Smoothies
- Gänseblümchen: Blüten und junge Blätter essbar, dekorativ und leicht nussig im Geschmack
- Schafgarbe: Junge Blätter würzig-herb, sparsam in Salaten verwenden
- Spitzwegerich: Junge Blätter mit pilzartigem Aroma, gut für Salate oder kurz angebraten
Nachhaltige Erntepraxis
Die Erntemenge reguliert die Hobbygärtnerin bewusst, sodass die Pflanzen nicht komplett verschwinden, sondern sich regenerieren und weiter ausbreiten können. Bei Brennnesseln schneidet sie nur die oberen Triebspitzen – die obersten 10 bis 15 Zentimeter. Das regt die Pflanze zur Verzweigung an und führt zu buschigem Wuchs. Bei Giersch erntet sie die jüngsten, hellgrünen Blätter, die am zartesten schmecken und noch keine Bitterstoffe entwickelt haben.
Dörthe Priesmeier achtet darauf, nie mehr als ein Drittel einer Pflanze zu ernten, damit sie sich erholen kann. Diese Regel gilt besonders für mehrjährige Pflanzen, die über Jahre am selben Standort wachsen. Bei einjährigen Wildkräutern wie Vogelmiere ist sie großzügiger, da diese sich durch Selbstaussaat ohnehin rasch vermehren. Wichtig ist auch, immer einige Pflanzen zur Blüte kommen zu lassen – für die Insekten und zur Selbstvermehrung.
Saisonale Ernte und Verarbeitung
Frühling: Die zarteste Zeit
Die Wildkräutersaison beginnt bei Priesmeier bereits im zeitigen Frühjahr, wenn die ersten Löwenzahnrosetten und Vogelmiere-Triebe erscheinen. Diese frühen Wildkräuter sind besonders zart und mild im Geschmack – ideal für alle, die sich an den Verzehr von Wildpflanzen erst gewöhnen müssen. Schon im März, manchmal sogar im Februar, wenn der Schnee gerade geschmolzen ist, zeigen sich die ersten grünen Spitzen.
Im April und Mai erreicht die Wildkräutersaison ihren Höhepunkt. Giersch treibt massenhaft aus, Brennnesseln wachsen an allen Ecken, und auch Gänseblümchen und Schafgarbe stehen zur Verfügung. In diesen Wochen kann Dörthe Priesmeier täglich ernten, ohne dass die Pflanzen merklich weniger werden – so schnell wachsen sie nach. Die Frühjahrswildkräuter sind besonders wertvoll, weil sie nach dem Winter wichtige Vitamine und Mineralstoffe liefern, zu einer Zeit, in der der Gemüsegarten noch kaum etwas hergibt.
Sommer und Herbst
Priesmeier erntet in dieser Zeit fast täglich und verarbeitet die Kräuter frisch. Überschüssige Mengen trocknet sie für Teemischungen oder friert sie portionsweise ein. Zum Einfrieren blanchiert sie die Kräuter kurz, drückt das Wasser aus und friert sie in Eiswürfelformen ein – so hat sie das ganze Jahr über Wildkräuter-Portionen für Smoothies oder zum Kochen. Im Sommer werden viele Wildkräuter zunehmend bitter und hart, da die Pflanzen in die Blüte gehen. Dörthe Priesmeier lässt in dieser Zeit bewusst einige Pflanzen blühen – einerseits als Nahrungsquelle für Insekten, andererseits zur Selbstaussaat für das kommende Jahr. Brennnesselblüten beispielsweise sind bei Schmetterlingen sehr beliebt. Die Erntemenge reduziert sich im Hochsommer deutlich, da die meisten Wildkräuter dann zu faserig und bitter werden. Stattdessen konzentriert sie sich auf hitzetolerante Arten wie Portulak, der erst im Sommer seine Hauptwachstumszeit hat.
Winter: Samenernte
Brennnesselsamen, die im Spätsommer reifen, sammelt sie als nährstoffreiche Zutat für Müslis und Brot. Diese kleinen Samen gelten als Superfood und enthalten hochwertiges Eiweiß sowie ungesättigte Fettsäuren. Der Herbst bringt eine zweite, kleinere Welle junger Wildkräuter, wenn die Temperaturen wieder fallen und viele Pflanzen nochmals austreiben. Besonders Löwenzahn und Vogelmiere wachsen im Herbst noch einmal kräftig und bleiben oft bis in den November hinein erntebar. Diese Herbsternte nutzt Dörthe Priesmeier intensiv, bevor der Winter dem Wachstum ein Ende setzt. Manche Wildkräuter wie Vogelmiere bleiben sogar im Winter grün und können bei frostfreiem Wetter geerntet werden. An milden Wintertagen inspiziert sie ihren Garten und findet oft noch kleine Mengen essbarer Pflanzen.
Kulinarische Verwendung: Von der Wiese auf den Teller
Grundrezepte und Klassiker
In der Küche zeigt sich Dörthe Priesmeier experimentierfreudig. Anfangs beschränkte sie sich auf einfache Zubereitungen wie Wildkräutersalate oder Brennnesselsuppe, inzwischen hat sie ihr Repertoire deutlich erweitert. Giersch-Pesto ist bei ihr zum Standard geworden und schmeckt intensiver als klassisches Basilikum-Pesto. Sie verarbeitet dafür junge Gierschblätter mit Pinienkernen, Parmesan, Knoblauch und Olivenöl – das Rezept unterscheidet sich kaum vom klassischen Pesto, nur das Basilikum wird durch Giersch ersetzt.
Brennnesseln verwendet sie vielseitig: als Füllung für Ravioli, in Quiches, als Zutat in grünen Smoothies oder klassisch als Brennnesselsuppe mit Kartoffeln. Für die Suppe dünstet sie Zwiebeln an, gibt Kartoffelwürfel und Gemüsebrühe dazu, lässt alles weich kochen und fügt dann die blanchierten Brennnesselblätter hinzu. Nach dem Pürieren schmeckt man kaum einen Unterschied zu Spinatsuppe – nur dass die Brennnesselversion deutlich mehr Nährstoffe liefert.
Kreative Variationen
Die getrockneten Blätter ergeben einen milden Tee, der sich auch mit anderen Kräutern mischen lässt. Priesmeier schätzt besonders die feine, spinatähnliche Konsistenz blanchierter Brennnesselblätter. Löwenzahn integriert sie vor allem in Frühlingssalate, oft in Kombination mit Vogelmiere und jungen Giersch-Blättern. Die Bitterstoffe des Löwenzahns harmonieren gut mit süßen Dressings auf Honigbasis oder mit gerösteten Nüssen, die eine nussige Süße beisteuern.
Gänseblümchen nutzt Dörthe Priesmeier hauptsächlich als essbare Dekoration – sie peppen jeden Salat optisch auf und schmecken leicht nussig. Die Knospen kann man sogar in Essig einlegen und als Kapern-Alternative verwenden. Schafgarbe kommt wegen ihres intensiven, leicht bitteren Geschmacks nur sparsam zum Einsatz. Spitzwegerich mit seinem pilzartigen Aroma brät sie gelegentlich kurz an und serviert ihn als Beilage – ein echter Geheimtipp, den nur wenige kennen.
Wildkräuter und Gartenökologie
Insektennahrung und Biodiversität
Ihr naturnaher Ansatz hat positive Auswirkungen auf das gesamte Gartenökosystem. Wildkräuter blühen oft früher und länger als Kulturpflanzen und bieten Insekten durchgehend Nahrung. Besonders Brennnesseln sind ökologisch wertvoll: Sie dienen als Raupenfutter für zahlreiche Schmetterlingsarten, darunter Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs und Admiral. Ohne Brennnesseln gäbe es diese Schmetterlinge in unseren Gärten kaum noch.
Die dichte Bodenbedeckung durch Wildkräuter verhindert Erosion und hält den Boden feucht. Auch Bienen profitieren enorm: Löwenzahn ist eine der ersten wichtigen Nektarquellen im Frühjahr, wenn kaum andere Pflanzen blühen. Gänseblümchen blühen fast das ganze Jahr über und bieten damit eine zuverlässige Futterquelle. Dörthe Priesmeier beobachtet in ihrem Garten deutlich mehr Insekten als in den sterilen Nachbargärten.
Bodenschutz und natürliche Düngung
Sie muss deutlich weniger gießen als früher, da der bewachsene Boden Wasser besser speichert. Auch Beikräuter wie Vogelmiere lockern mit ihren feinen Wurzeln die obere Bodenschicht und verbessern die Bodenstruktur. Ihre flächendeckende Wuchsform schützt den Boden vor Austrocknung und Verschlämmung bei Starkregen. Ein weiterer Vorteil: Viele Wildkräuter haben tiefe Pfahlwurzeln, die Nährstoffe aus unteren Bodenschichten nach oben holen.
Löwenzahn beispielsweise kann mit seiner Pfahlwurzel bis zu zwei Meter tief in den Boden vordringen. Wenn die Pflanzen absterben oder gemulcht werden, stehen diese Nährstoffe anderen Pflanzen zur Verfügung. Dörthe Priesmeier betrachtet Wildkräuter daher als kostenlose Gründüngung, die nebenbei noch essbar ist. Besonders Brennnesseln sind hervorragende Stickstofflieferanten – sie wachsen bevorzugt auf stickstoffreichen Böden und reichern beim Verrotten noch mehr Stickstoff im Boden an.
Herausforderungen und Grenzen des Wildkräuter-Gärtnerns
Unerwünschte Beikräuter
Trotz aller Vorteile gibt es auch Grenzen, die Priesmeier realistisch einschätzt. Nicht alle Wildkräuter sind willkommen: Quecke, Ackerwinde und Disteln breiten sich zu aggressiv aus und bieten keinen kulinarischen Nutzen. Diese Pflanzen entfernt sie weiterhin konsequent, bevor sie überhandnehmen. Ackerwinde ist besonders hartnäckig und kann mit ihren meterlangen Wurzeln ganze Beete durchziehen und Kulturpflanzen erwürgen.
Auch bei essbaren Wildkräutern ist Kontrolle nötig. Giersch kann innerhalb weniger Wochen ganze Beete überwuchern, wenn er nicht regelmäßig geerntet wird. Seine unterirdischen Ausläufer verbreiten sich rasant und können selbst aus kleinsten Wurzelresten neue Pflanzen bilden. Dörthe Priesmeier hat gelernt, ein Gleichgewicht zu finden: Sie lässt den Wildkräutern Raum, grenzt aber ihre Ausbreitung in Gemüsebeeten ein.
Gleichgewicht finden
In Bereichen, wo sie Möhren oder Salat anbaut, muss auch Giersch weichen – zumindest während der Hauptwachstumsphase der Kulturpflanzen. Später im Jahr, wenn das Gemüse abgeerntet ist, darf sich der Giersch bei Dörthe Priesmeier wieder ausbreiten und die Fläche bedecken. Diese Strategie nennt sich „gestaffelte Nutzung“ und ermöglicht es, sowohl Kulturpflanzen als auch Wildkräuter zu nutzen. Die größte Herausforderung sieht sie in der Akzeptanz.
Überzeugungsarbeit leisten
Viele Menschen haben eine tief verwurzelte Abneigung gegen „Unkraut“ und können sich nicht vorstellen, diese Pflanzen zu essen. Jahrzehntelange Werbung für Unkrautvernichtungsmittel hat das Image von Wildkräutern nachhaltig beschädigt. Dörthe Priesmeier lädt regelmäßig Freunde und Familie ein, ihre Wildkräutergerichte zu probieren – mit Erfolg: Die meisten sind überrascht, wie gut die vermeintlichen Unkräuter schmecken. Viele kennen Brennnesseln nur als schmerzhafte Erfahrung aus der Kindheit und sind erstaunt, dass sie als Gemüse köstlich sind.
Wenn der Garten zum Selbstversorger wird
Was als Experiment begann, ist für die passionierte Hobbygärtnerin zur Selbstverständlichkeit geworden. Ihr Garten liefert von März bis November durchgehend frische Wildkräuter, ohne dass sie dafür säen, düngen oder intensiv pflegen muss. Die Pflanzen kommen von allein, wachsen zuverlässig und verlangen nur nach regelmäßiger Ernte. Diese Form der mühelosen Selbstversorgung hat ihre Einstellung zum Gärtnern grundlegend verändert: Statt gegen die Natur zu arbeiten, nutzt sie deren Produktivität intelligent. Die gewonnene Zeit investiert Dörthe Priesmeier lieber in die Verarbeitung der Ernte und das Ausprobieren neuer Rezepte – ein Tausch, den sie nicht mehr missen möchte.




